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Fettstoffwechsel

Lipödem oder doch Adipositas?

Lipödem und Adipositas sind eigenständige Erkrankungen. Häufig kommen jedoch Mischbilder mit anderen Erkrankungen vor (z.B. Lipödem mit Adipositas oder Lymphödem etc.), deren differenzialdiagnostische Abgrenzung mitunter schwierig sein kann.1 Dieser Übersichtsartikel soll einen guten Überblick über Krankheitsbild, Diagnostik und Therapie bieten.

Keypoints

  • Das Lipödem, eine chronische, symmetrische und schmerzhafte Fettanlagerung an Armen oder Beinen, kann die Lebensqualität der zumeist weiblichen Patientinnen enorm einschränken.

  • Schmerzen und Gewichtszunahme können sich auch auf weitere Aspekte wie psychische Gesundheit, Schlaf oder Mobilität auswirken.

  • Bei der Behandlung gilt es daher, die Komplexität der Erkrankung zu erfassen und auch die psychosoziale Belastung in die Versorgung der Patientinnen miteinzubeziehen.

  • Außerdem sollen Komorbiditäten wie eine begleitende Adipositas und/oder Lymphödem versucht werden zu diagnostizieren, da der therapeutische Ansatz ein anderer ist.

Was ist ein Lipödem?

Das Lipödem ist eine chronische Erkrankung, die mit einer subkutanen Lipodystrophie im Bereich der Extremitäten, vor allem der unteren Extremitäten, einhergeht. Es kommt zu einer deutlichen Disproportion zwischen Stamm und Extremitäten.1 Diese entsteht aufgrund einer umschriebenen, symmetrisch lokalisierten Unterhautfettgewebsvermehrung der unteren und/oder oberen Extremitäten.2 Außerdem können orthostatische Ödeme auftreten,3 jedoch spielt das Ödem per se beim Lipödem nur eine untergeordnete Rolle.4 Charakteristisch sind eine Hämatomneigung bei Bagatelltraumen und eine gesteigerte Druckschmerzhaftigkeit. Gelegentlich berichten Patient:innen von Spontanschmerzen.5,6

Prävalenz und Pathogenese

Erstmals wurde das Lipödem 1940 von Allen und Hines beschrieben.3 Sie stellten typische Merkmale fest, wie zum Beispiel, dass Stamm, Kopf und Füße nicht von der Fettverteilungsstörung betroffen sind. Die Namensgebung Lipödem führte zur Verwirrung und zur fälschlichen Annahme, dass Schwellungen ein Hauptbestandteil der Erkrankung sind.7

Die Zahlen für die Prävalenz schwanken sehr in der Durchsicht der Literatur. Sie wurde mit bis zu 11% in der weiblichen Bevölkerung beziffert.8 In einem Beitrag von Dr. Sandhofer werden 5% der Öster-reicher:innen genannt.9

Die Ätiologie des Lipödems ist bisher nicht vollständig geklärt. Es existieren verschiedene Hypothesen zum Pathomechanismus.

Die Krankheit scheint durch eine Keimbahnmutation verursacht zu werden, da sie einem autosomal-dominaten Erbgang mit unvollständiger Penetranz folgt.10 Eine familiäre Häufung wird in zumindest 16–60% der Fälle beschrieben.11

Die Krankheit tritt nahezu ausschließlich bei Frauen auf. Der Anfang des Krankheitsbildes steht oft in Zusammenhang mit hormonellen Veränderungen im Körper, wie zum Beispiel Pubertät, Schwangerschaft oder Wechseljahren. Hier wird dem Östrogen eine entscheidende Rolle für die Entstehung zugemessen.

Bei Männern wurden lipödemähnliche Veränderungen nur bei hormonell wirksamen Therapien, ausgeprägten Hormonstörungen (z.B. Hypogonadismus) oder bei Leberzirrhose beschrieben.12 Histologisch zeigt sich ein vermehrtes, im Wesentlichen unauffälliges Fettgewebe. Auffallend seien lediglich einzelne herdförmige Fettgewebsnekrosen sowie vermehrt Makrophagen im Interstitium. Die Makrophagen exprimieren in typischer Weise Anti-CD68.13 Diese beiden Aspekte sprechen für die Theorie, dass die Ursache der Schmerzen in entzündlichen und hypoxischen Prozessen liegen. Im Artikel „Hinweis für die Beteiligung freier Radikale an der Pathogenese des Lipödems“ wurden als Marker für oxydativen Stress der Glutathionstatus in den Erythrozyten und Malondialdehyd (MDA) im Blutplasma herangezogen. Beide Parameter waren bei Patient:innen mit Lipödem wegweisend verändert.14

Es werden jedoch auch andere morphologische Merkmale diskutiert, die jedoch nur in Studien mit geringen Fallzahlen nachgewiesen wurden. Lipödempatient:in-nen zeigen zum Beispiel eine dickere Epidermis als angepasste BMI-Kontrollgruppen15 und die Subkutis ist deutlich geringer komprimierbar.16 Ebenso konnte ein erhöhter Natriumgehalt in den unteren Extremitäten bei Lipödempatient:innen im MRT gemessen festgestellt werden.17

Zellbiologische und Proteinexpressionsuntersuchungen legen den Verdacht nahe, dass vorrangig die initialen Differenzierungsschritte der Adipogenese betroffen sind.18 Von Lipödempatient:innen stammende Stammzellen zeigen bereits in frühen Stadien derIn-vitro-Differenzierung eine behinderte Adipogenese. Parallel zu einer stark reduzierten zytoplasmatischen Lipidakkumulation sind in Überständen von Lipödemstammzellen und Adipozyten aus Lipödemfettgewebe im Vergleich zu Kontrollzellen signifikant geringere Mengen an Adiponektin und Leptin nachweisbar.19

Diagnose

Die Diagnose ist zumeist schwierig und es kommt nicht selten vor, dass Patient:in-nen erstnach jahrelanger Odyssee zu ihrer Diagnose kommen. Dies liegt daran, dass für das Lipödem zwar Diagnosekriterien existieren, jedoch kein Laborwert, keine Bildgebung oder Parameter, mit denen man diese Erkrankung zweifelsfrei diagnostizieren kann.

Die Diagnose beruht im Wesentlichen auf einer ausführlichen Anamnese und klinischen Kriterien:

  • bilaterale symmetrische Fettgewebshypertrophie der Extremitäten

  • dabei Aussparung der Hände, Füße, Kopf und Stamm

  • negatives Stemmer-Zeichen

  • Druck- und Berührungsschmerz

  • vermehrte Hämatomneigung

  • bei Gewichtsabnahme stabiler Extremitätenumfang

  • Hypothermie der Haut

  • Verstärkung der Symptome im Verlauf des Tages

  • orthostatische Ödemneigung

  • anamnestischer Beginn der Erkrankung in der Pubertät oder in einer Phase hormoneller Veränderungen

Die umschriebene Fettgewebsvermehrung hat eine weiche Konsistenz und hinterlässt auf Druck keine Eindellung.20 Der typische Kalibersprung zur angrenzenden gesunden Region wird auch als „Muff“, „Türkenhosenphänomen“ oder „Kragenbildung“ bezeichnet.1

Die Schmerzen beim Lipödem können im Rahmen einer dynamischen Entwicklung an Frequenz und Amplitude zunehmen. Dies gilt es in Zukunft durch wissenschaftliche Studien zu konkretisieren. Der Schmerz beim Lipödem ist nicht auf einzelne Dermatome beschränkt, sondern kann an der gesamten Zirkumferenz der Beine oder der Arme auftreten. Zusammenfassend ist das Symptom Schmerz facettenreich, schwer zu fassen und wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Letztendlich ist die Pathogenese des Schmerzes bislang nicht eindeutig geklärt.21

Die Hämatomneigung ist einer vermehrten Kapillarfragilität geschuldet.22 Sie ließ sich in einer vergleichenden klinischen Untersuchung von Erbacher et al. allerdings nicht objektivieren.7 Eine besondere Rolle in der Beschwerdeschilderung spielt die subjektive Wahrnehmung eines Anschwellens in den betroffenen Extremitäten im Laufe des Tages. In einer vergleichenden Untersuchung an symptomatischen Lipödempatient:innen und Gesunden konnte eine im Tagesverlauf wahrgenommene Schwellung nicht objektiviert werden, sodass die Autor:innen schlussfolgerten, dass das Gefühl der Umfangszunahme als Bestandteil des Schmerzerlebens interpretiert werden muss.23

Viele der Lipödempatient:innen leiden an psychischen Symptomen wie Depressionen, Angst- oder Essstörungen.24 Diese Erkrankungsbilder können schon vor Diagnose eines Lipödems bestehen, können aber durch die Erkrankung selbst verstärkt und verändert werden.

Was wird in der klinischen Untersuchung erhoben?

Zur Erstdokumentation und Verlaufskontrolle sollen zumindest die biometrischen Werte Körpergewicht, Körpergröße sowie Taillen- und Hüftumfang erhoben werden. Weitere Messungen an den Extremitäten und Indizes sollten zur Therapieplanung und Verlaufskontrolle abhängig von den betroffenen Extremitäten hinzugenommen werden (BMI, Verhältnis Bauchumfang zu Hüfte [„waist-hipratio“], Verhältnis Bauchumfang zu Körpergröße [„waist-to-heightratio“], Umfangmessung der Extremitäten etc.) Zusätzlich werden die Schmerzen anhand einer visuellen Analogskala (VAS) eingeschätzt sowie ein umfassendes Labor inkl. Nieren- und Leberfunktion, Schilddrüsenfunktion, Lipidprofil und Diabetesscreening abgenommen und psychische Beschwerden erfasst.

Zu bildgebenden Verfahren und laborchemischen Messmethoden liegen nur wenige Daten mit niedrigem Evidenzgrad vor. Zum Ausschluss eines Ödems z.B. phlebologischer Ursache kann die Ultraschalldiagnostik verwendet werden. Eine ätiologische Zuordnung der Ödeme anhand des Ultraschallbefundes ist nicht möglich.25

Es wird laut neueren Studienergebnissen davon ausgegangen, dass beim Lipödem keine lymphatische Insuffizienz besteht. Daher kann mittels Indocyaningrün-Lymphografie (ICG-L) und „near-infrared fluorescence lymphatic imaging“ (NIRF-LI) derzeit kein Beitrag zur Diagnostik des Lipödems geleistet werden.26

Zur Wirksamkeit alternativer diagnostischer Verfahren wie der Bioimpedanzmethode (BIA) und der Bestimmung der elektrischen Gewebekonstante (TDC) liegen keine evaluierten Daten vor. Die BIA-Messung kann allerdings zur Differenzierung der Adipositas und zum Gewichtsverlauf gut herangezogen werden.

Einteilung nach Stadien

Die in der Literatur bisher gebräuchliche Stadieneinteilung der Morphologie soll nicht als Maß für die Schwere der Krankheit verwendet werden. Die einzelnen Stadien können bei Progredienz fließend ineinander übergehen (Abb. 1).

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Abb. 1: Lipödem-Stadieneinteilung I–III

Stadium I
  • glatte Hautoberfläche

  • leichte Orangenhaut möglich (Verschiebung von Haut und Unterhautgewebe)

  • gleichmäßige Verdickung der unteren Hautschichten

  • reithosenartige Veränderungen

Stadium II
  • unebene, wellenartige Hautoberfläche mit größeren Dellen (Matratzenphänomen)

  • Knötchen in verdickten Hautarealen

  • zunehmende Disproportion zwischen Rumpf und Extremitäten, Reithosen-Form

  • Gewebe verdickt, jedoch immer noch weich

Stadium III
  • ausgeprägte Umfangvermehrung durch Volumenzunahme

  • Gewebe verdickt und verhärtet

  • grobe deformierende Fettlappen mit überhängendem Gewebe (Wammenbildung)

  • Störungen des Gangbildes (X-Beine)

Einteilung nach Typen

Neben der Stadieneinteilung kann man auch verschiedene Typen unterscheiden, je nachdem, welche Körperregionen betroffen sind (Abb. 2). Es kann lediglich die Hüft-/Gesäßpartie betroffen sein oder das gesamte Bein bis zum Knöchel.

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Abb. 2: Lipödem-Typen

Differenzialdiagnosen

Differenzialdiagnose der Fettgewebs-erkrankungen

Im Rahmen der Ödemdiagnostik können internistische Routinelaborwerte im Einzelfall die Differenzialdiagnostik unterstützen, um eine Schilddrüsenunterfunktion, ein nephrotisches Syndrom oder eine dekompensierte Herzinsuffizienz als Grund- oder Begleiterkrankung auszuschließen (z.B. TSH, Kreatinin, GFR, Gesamteiweiß, Harnsediment, NT-proBNP).

Übergewicht (BMI≥25kg/m2) und Adipositas (BMI≥30kg/m2) sind die häufigsten gleichzeitig neben dem Lipödem bestehenden Erkrankungen. Adipositas kann ein Lipödem verschlimmern. Es besteht keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz dafür, dass ein Lipödem mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Adipositas assoziiert ist. Ein Lymphödem ist mit einem positiven Stemmer-Zeichen und durch die zusätzliche Lokalisation von Füßen und Händen gekennzeichnet. Venöse Insuffizienzen können mittels Sonografie diagnostiziert werden (Tab. 1)

Tab. 1: Differenzialdiagnose der Fettgewebserkrankungen

Therapie

Das Behandlungskonzept sollte multiprofessionell aufgebaut sein und neben Medizinern auch psychologische, psychosoziale, ernährungsmedizinische und sportmedizinische Gesichtspunkte abdecken. Wesentliche Ziele sind die Symptomreduktion, die Verbesserung der funktionalen Einschränkungen und die Prävention der Krankheitsprogression.27 Die neue AWMF-Leitlinie betont, dass ein effektives Selbstmanagement ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitskompetenz ist. Es soll gefördert und die Patientin zu einer aktiven Rolle ermutigt werden. Problemlösestrategien und konkrete individuelle Therapieziele sollen gemeinsam erarbeitet werden und so die Erhöhung der Selbstwirksamkeit gefördert werden.

Seriöse Aufklärung

Eine seriöse Aufklärung sollte Aspekte über Entstehung, verschiedene Behandlungsmöglichkeiten und Komorbiditäten enthalten.

Kompressionstherapie

Bei diagnostiziertem Lipödem soll die Kompressionstherapie zur Schmerzreduktion an den betroffenen Extremitäten eingesetzt werden. Die Kompressionstherapie (KT) gilt in der Behandlung des Lipödems als Teil der Standardbehandlung.28 Medizinische Kompressionsstrümpfe und Kompressionsverbände haben elastische Eigenschaften, sodass ein kontinuierlicher definierter Druck auf die Extremität ausgeübt wird. Hier stehen die subjektiven Symptome und in erster Linie der Schmerz im Vordergrund. Bei Kombination mit Ödemen anderer Genese wird auch die damit verbundene Ödembildung und -reduktion günstig beeinflusst. Es soll immer die niedrigste Kompressionsklasse bevorzugt werden, die zu einer ausreichenden Symptomlinderung führt. Dies unterstützt die Adhärenz mit der Kompressionstherapie.21

Behandlung der Gewichtsprogredienz

Bei weitgehender Gewichtsstabilität ist das Lipödem nicht grundsätzlich progredient, sondern kann über viele Jahre oder dauerhaft stabil sein. Eine aktuelle spanische Untersuchung bestätigt den Zusammenhang zwischen Progredienz der Erkrankung mit Gewichtszunahme.29 Daraus folgt, dass die Behandlung mit GLP-1-Agonisten auch bei einem Lipödem zu positiven Auswirkungen führen kann. Hier kann sich zumindest der gewichtsreduzierende Effekt positiv auf die Gewichtsentwicklung auswirken. Spannend wird hier in Zukunft der Einfluss von zum Beispiel GIP-Agonisten zeigen, da diese ja eine direkte Wirkung auf das Fettgewebe, neben vielen anderen Angriffspunkten, haben. Leider liegen hierfür keine Studiendaten vor. Die Patient:innen sollen darüber aufgeklärt werden, dass bei gleichzeitigem Übergewicht oder Adipositas auch das Beinvolumen durch Gewichtsreduktion mit einer geeigneten Ernährung reduziert werden kann.

Psychische Begleitung bzw. Selbstakzeptanz

Psychische Störungen können die Symptome und Lebensqualität von Lipödem-patient:innen beeinflussen und sollten bei der Diagnostik und Therapie des Lipödems beachtet werden. Hierzu zählen z.B. Essstörungen, Depression, posttraumatische Symptome nach Gewalt und Missbrauch. Dabei sollte ein interdisziplinärer Therapieansatz verfolgt werden.21 Neben professioneller Hilfe bei Psychotherapeuten oder Psychiatern kann auch Rat bei Selbsthilfegruppen gesucht werden. Der Austausch unter Betroffenen wird auch als sehr hilfreich beschrieben. Gravierende psychische Erkrankungen (z.B. eine schwere Essstörung oder schwere Depression) sollen vor operativen Eingriffen behandelt werden.

Manuelle Lymphdrainage

Wenn man der Theorie folgt, dass ein Ödem nur marginal an der Entstehung des Lipödems beteiligt ist, ist eine Verordnung einer manuellen Lymphdrainage nicht nachvollziehbar. Diese wird jedoch von einer Mehrzahl der Patient:innen als angenehm und hilfreich empfunden. Hier wird von den Autor:innen einer kleinen Pilotstudie vermutet, dass eher ein Massageeffekt mit Reduktion von Stress und Erschöpfung als eine Entstauung von Betroffenen gemeint ist.24 Manuelle Lymphdrainagen sollten nur seriell und bei klinischem Nachweis von Ödemen verordnet werden, z.B. an heißen Sommertagen und entsprechend bei Leidensdruck durch ein orthostatisches Ödem. Dennoch sind für die manuelle Lymphdrainage sowohl eine sympathikolytische Wirkung30 als auch eine Erhöhung der Schmerztoleranz sowie eine Erhöhung der Schmerzschwelle31 nachgewiesen. Die Datenlage zur Anwendung der intermittierenden pneumatischen Kompressionstherapie (IPK) beim Lipödem ist sehr begrenzt. Sowohl aus der Erfahrung des klinischen Alltags als auch im Rahmen von Fallserien hat sie sich als wirksam gezeigt zur Reduktion von Ödemen, Schmerzen und Kapillarfragilität.32 Sie soll ergänzend, jedoch nicht als Ersatz für manuelle Lymphdrainage oder Kompressionstherapie eingesetzt werden.33

Bewegungstherapie
Praxistipp
Bitte denken Sie auch an die Differenzialdiagnose Lipödem. Nur dann kann die richtige Therapie eingeleitet werden.

Da Bewegung in Kompression bzw. ein Trainingsprogramm ein wichtiges Element in der Schmerzreduktion darstellt, soll sie in das therapeutische Gesamtkonzept einbezogen werden. Dieses soll Ausdauer- und Krafttraining beinhalten. Da eine Gewichtszunahme das Lipödem verschlechtern kann, soll schon frühzeitig eine Aufklärung über einen gesunden Lebensstil mit regelmäßiger Bewegung stattfinden.Bewegung kann sich auch positiv auf die Psyche auswirken. Die additive Durchführung von Aquasport (z.B. Aquacycling) kann einen positiven Einfluss aufweisen.21

Chirurgische Eingriffe

Vor chirurgischen Eingriffen soll zumindest für 6 Monate ein konservativer Therapieansatz probiert werden.

Gewebe- und lymphgefäßschonende Liposuktion

Eine Indikationsstellung zur Liposuktion soll sich nicht mehr an der herkömmlichen Stadieneinteilung orientieren, da es keine Korrelation zwischen der Schwere der Symptomatik und Stadieneinteilung gibt. Je nach Patientin können hier 7–12 Liter pro Sitzung entnommen werden. Entfernte Fettzellen können nicht nachwachsen, daher ist in der Regel eine Wiederholung der Fettabsaugung nicht nötig. Bei ausgeprägter Fettvergrößerung muss diese allerdings in mehreren Sitzungen entfernt werden. Die Patient:innen sollen nach einer Liposuktion weiter abhängig von der Beschwerdesymptomatik konservativ behandelt werden. Insbesondere soll auf Mobilität, Gewichtsstabilität und Stressregulation geachtet werden.

Eine Operation zur Reduzierung des Lipödems ist also nicht ohne Risiko und kann zu langfristigen Komplikationen, einschließlich einer Verletzung des Lymphsystems führen.34 Die Fettabsaugung wird derzeit in Österreich nur im Rahmen von Einzelfallentscheidungen von der Gesundheitskasse übernommen.

Bariatrische Operation

Die Indikationsstellung für bariatrische Eingriffe bei Patient:innen mit Lipödem soll gemäß der S3-Leitlinie „Chirurgische Therapie der Adipositas und metabolischen Erkrankungen“ erfolgen. Das Verhältnis Bauchumfang zu Körpergröße („waist-heightratio“) soll bei der Indikationsstellung mitberücksichtigt werden, da bei ausgeprägter Disproportion der BMI allein nicht aussagefähig ist. Gemäß aktuellem Konsensus der Österreichischen Adipositasgesellschaft kann eine bariatrische OP ab einem BMI von ≥35kg/m2 oder ab einem BMI von ≥30kg/m2 bei gleichzeitig bestehenden Komorbiditäten in Betracht gezogen werden.35

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