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Medizinische Hypnose bei Schmerzen

Kein Zaubermittel, aber wirksam und nahezu frei von Nebenwirkungen

Schmerz, Stress und Schlafstörungen sind die Hauptindikationen, für die Manfred Koch medizinische Hypnose einsetzt. Der Anästhesist und Schmerzmediziner mit den Zusatzqualifikationen in medizinischer Hypnose und psychosomatischer Medizin arbeitet seit 15 Jahren mit Hypnosetechniken – und macht damit gute Erfahrungen.

Herr Dr. Koch, wie sind Ihre Erfahrungen mit der Anwendung von Hypnose bei Schmerzen?

M. Koch: Ich persönlich wende die medizinische Hypnose gegen Schmerzen seit über 15 Jahren an und mache damit überwiegend positive Erfahrungen. Die medizinische Hypnose ist eine nichtmedikamentöse Behandlungsform und nahezu nebenwirkungsfrei. Schmerzen stehen immer in Verbindung mit Stress, bei chronischen Schmerzen kommen Schlafstörungen und Ängste hinzu. Diese Begleitsymptome lassen sich mit Hypnose ebenfalls gut therapieren. Durch regelmässige gemeinsame Übungen soll der Patient befähigt werden, diese selbst durchzuführen. Dadurch wird die Selbstwirksamkeit der Patientinnen und Patienten gestärkt und es entsteht kein Abhängigkeitsverhältnis.

Wann in der Schmerzkarriere eines Patienten setzen Sie Hypnose ein?

M. Koch: Mit medizinischer Hypnose kann grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt begonnen werden. Ob in der Ambulanz, auf der Notfallstation oder im weiteren Verlauf in der Sprechstunde. Ich bin selbst nicht auf dem Notfall tätig, sondern arbeite am Schmerzzentrum des Kantonsspitals in Chur. Ich weiss aber von einem Projekt in der Primärversorgung, wo Hypnose von Notfallsanitätern eingesetzt wird.

In meiner Sprechstunde sehe ich vor allem Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen, bei denen die medikamentöse oder interventionelle Behandlung nicht zum gewünschten Ziel geführt hat. Diese werden mir direkt von den Kollegen im Spital oder von den Hausärztinnen und Hausärzten aus der Region zur medizinischen Hypnose zugewiesen.

Welche Faktoren beeinflussen den Schmerz?

M. Koch: Schmerzen sind etwas ganz persönliches, individuelles. Unser Gehirn registriert, an welcher Stelle im Körper Mechano-, Thermo- und Chemorezeptoren aktiviert werden, und beurteilt, ob diese Wahrnehmung gefährlich oder nicht gefährlich ist. Das ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass es in der Vergangenheit schon mal einen vergleichbaren Reiz gab, den wir in positiver oder negativer Erinnerung haben. Die Schmerzempfindung wird zudem beeinflusst durch den Kontext, in dem eine Person sozialisiert wurde, und wie sie gelernt hat, auf Reize wie Schmerzen zu reagieren. Es gibt also biologische, psychologische und soziale Komponenten, die den Schmerz in seiner Wahrnehmung und Interpretation beeinflussen.

Wie wirkt Hypnose auf Schmerzen?

M. Koch: Mit der medizinischen Hypnose kann der Ort der Reizwahrnehmung defokussiert werden, das heisst, die Aufmerksamkeit wird von dem schmerzhaften auf einen nichtschmerzhaften Ort gelenkt. Auch die Schmerzwahrnehmung lässt sich mit Hypnose modulieren. Vielleicht ist für die Patientin oder den Patienten ein drückendes Gefühl angenehmer als ein stechendes. Manchmal sind die Schmerzen auch mit einer Farbe assoziiert, die sich mit hypnotischen Techniken modulieren lässt.

Heisst das, Hypnose ist vor allem Ablenkung?

M. Koch: Hypnose besteht aus zwei unterschiedlichen Komponenten. Zum einen die hypnotische Trance, dieser tiefe, bewusstseinsverändernde Zustand, wie wenn man beim Lesen eines Romans oder im Kinofilm in das Geschehen eintaucht und sich an einem komplett anderen Ort befindet. Aber dann ist da auch noch das psychotherapeutische Element oder die Psychotherapie innerhalb dieses Zustands. Während die Meditation nur auf Entspannung abzielt, will die Hypnose in diesem Entspannungszustand noch etwas verändern.

Wie gehen Sie bei der Hypnose konkret vor?

M. Koch: Zunächst einmal möchte ich erreichen, dass sich die Person in einem angenehmen und tiefen Entspannungszustand befindet. Meistens beginne ich dazu mit entsprechenden Atemtechniken. Dabei realisieren viele Menschen, dass sie eine dysfunktionale Atmung haben. Im entspannten Trancezustand kann es dann bereits zu einer Reduktion von Schmerzen und Stress kommen. Dies ist eine Leistung der betroffenen Person, die es zu würdigen gilt. Im weiteren Verlauf kann dann auf die Intensität, die Qualität und die Form der Schmerzen eingegangen werden. Die betroffene Person ist Expertin oder Experte der eigenen Beschwerden und aktiv in den Hypnoseprozess involviert. Wenn beispielsweise jemand angibt, dass sein Schmerz eine spitze und scharfe Kontur hat, dann frage ich, welche Kontur für ihn angenehmer wäre, und versuche seine Wahrnehmung zu verändern. Das ist die assoziative Technik. Eine andere Möglichkeit ist die Anwendung einer dissoziativen Technik, mit dem Ziel, eine Körperregion komplett auszublenden.

Welche Voraussetzungen muss ein Patient mitbringen, damit die Behandlung erfolgreich verläuft?

M. Koch: Die Motivation, die medizinische Hypnose auszuprobieren, sowie realistische Therapieziele sind wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Hypnotherapie. Da Schmerz sehr individuell wahrgenommen wird, sollte vor dem Therapiebeginn mit dem Patienten besprochen werden, was für ihn ein Therapieerfolg bedeutet. Eine ganz wichtige Rolle spielt natürlich auch die Beziehung zwischen der medizinischen Fachperson und dem Patienten. Die Hypnose funktioniert überhaupt nur, wenn es mir gelingt, eine vertrauensvolle Beziehung zu der Patientin oder dem Patienten aufzubauen.

Welche Rolle spielt das Geschlecht bei der Therapiewahl?

M. Koch: Eine grosse. Ich würde sagen, dass der überwiegende Teil der Personen, die sich für die Hypnose interessieren, weiblich ist. Frauen sind nach meiner Beobachtung oftmals neugieriger, sie öffnen sich in der Regel schneller und sprechen ihre Emotionen offener an.

Welche Schmerzen sprechen besonders gut auf Hypnose an?

M. Koch: Im Prinzip kann die Hypnose bei jeder Schmerzform angewendet werden. Beim akuten Schmerz, zum Beispiel vor der Durchführung einer Venenpunktion, und beim chronischen Schmerz, beispielsweise bei langjährigen Rücken- oder Kopfschmerzen. Hypnose kann in unterschiedlichen Körperregionen Anwendung finden. Gute Erfolge mit Hypnose lassen sich bei Kopfschmerzen oder abdominellen Schmerzen wie der Behandlung des Reizdarmsyndroms erzielen.

Ist die Hypnosetherapie standardisiert?

M. Koch: Ein sehr gut strukturiertes Hypnoseprotokoll ist das Manchester Protocol, das Vasant und Whorwell im Rahmen der «gut-focused hypnotherapy» zur Behandlung funktioneller Magen-Darm-Störungen etabliert haben.1 Ein weiteres gutes Beispiel für eine standardisierte Anwendung stammt von Prof. E. Lang, die die Anwendung von Hypnose bei invasiven radiologischen Eingriffen untersucht hat.2,3 Bei Akut-Schmerzsituationen lassen sich standardisierte Hypno-Interventionen leichter anwenden, weil man in der Regel direkt mit der Intervention beginnen kann. Bei langjährigen Beschwerden ist die Vorbereitung zeitintensiver, denn man benötigt viel mehr Informationen über den Patienten und das Schmerzgeschehen.

Erkennen die Krankenversicherer die Therapie an?

M. Koch: Die medizinische Hypnose ist ein anerkanntes nichtmedikamentöses psychologisches Therapieverfahren. Die Krankenversicherungen erstatten die Kosten, wenn medizinisch qualifiziertes Fachpersonal bei adäquater Indikation eine Behandlung durchführt. Die Ausbildung in der Hypnose muss in jedem Fall von einer anerkannten und qualifizierten Fachgesellschaft durchgeführt werden. Ob die Hypnose dann im Rahmen einer ärztlichen oder psychologischen Konsultation zur Anwendung kommt, obliegt dem Fachpersonal.

Wie kann der Patient den Erfolg der Hypnotherapie unterstützen?

M. Koch: Indem er die erlernten Techniken im Alltag regelmässig selbstständig anwendet. Ich verwende gern den Vergleich mit der persönlichen Zahnreinigung: Wir können zweimal im Jahr zur Dentalhygiene gehen oder zweimal täglich selber unsere Zähne putzen. Der Patient hat bei der Behandlung eine Mitverantwortung. Einige können die erlernten Techniken nach kurzer Zeit selbstständig durchführen, andere müssen regelmässig intensiv motiviert werden und einige sind edukations- und motivationsresistent. Um Letztere zu motivieren, müsste eine Veränderung der Verhaltens- und Lebensweise stattfinden.

Wo liegen die Grenzen der Hypnotherapie?

M. Koch: Die Grenzen liegen bei einer ungenügenden oder fehlenden Motivation, einer fehlenden vertrauensvollen Beziehung zwischen Patienten und Behandler und bei unrealistischen Zielsetzungen: Die Hypnose kann keine Tumorerkrankung heilen, keine Fraktur stabilisieren, einen perforierten Appendix nicht in die ursprüngliche Form versetzen und sie macht aus einer Glatze keine Vokuhila-Frisur (vorne kurz, hinten lang). Aber mit Hypnose oder der Kraft der Gedanken lassen sich viele Beschwerden positiv modulieren, sodass daraus eine Verbesserung der Lebensqualität resultiert.

Vielen Dank für das Gespräch!
Buchtipp

Patient sedation without medication.

Rapid rapport and quick hypnotic techiques.

Elvira Lang, MD, and Eleanor Laser
CreateSpace Independent Publishing Platform, 2009

1 Vasant DH, Whorwell PJ: Gut-focused hypnotherapy for functional gastrointestinal disorders: evidence-base, practical aspects, and the Manchester Protocol. Neurogastroenterol Motil 2019; 31: e13573 2 Lang EV et al.: Adjunctive non-pharmacological analgesia for invasive medical procedures: a randomised trial. Lancet 2000; 355: 1486-90 3 Lang EV et al.: Adjunctive self-hypnotic relaxation for outpatient medical procedures: a prospective randomized trial with women undergoing large core breast biopsy. Pain 2006; 126: 155-64

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