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«Kommunikation ist sehr oft Therapie»

Sara Rubinelli, Professorin für Gesundheitswissenschaften mit Schwerpunkt Gesundheitskommunikation an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften und Medizin der Universität Luzern, im Interview.

Sie forschen zu Gesundheitskommunikation und waren von 2017 bis 2022 Präsidentin der International Association for Communication in Healthcare (EACH) – wie wichtig ist das Thema für Gesundheitsberufe?
In den vergangenen Jahren wurde unter Gesundheitskommunikation immer die Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen verstanden, aber es gibt immer mehr Gründe, warum es wichtig ist. Kommunikation ist Teil der Behandlung. Heute ist ganz klar, dass die Art und Weise, wie Ärzt:innen sprechen, grossen Einfluss darauf hat, wie Patient:innen es verstehen und sich dann auch an das Gesagte halten. Das sieht man vor allem bei chronischen Krankheiten wie Diabetes, Rückenschmerzen oder wenn es um onkologische Erkrankungen geht, bei denen die Kommunikation so wichtig ist. Gesundheitsberufe müssen Patient:innen helfen, eine Situation zu verstehen, gerade bei Behandlungen, die nicht einfach anzunehmen und komplex sind, wie eine Chemotherapie. Wenn jemand mit der Chemotherapie beginnt, muss man über die Nebenwirkungen und alles aufgeklärt werden, und zwar so, dass jemand und auch die Familie das verstehen. Auch die Art und Weise, wie eine Diagnose und auch dem umgebenden Bereich eine plötzliche schlechte Nachricht – wie etwa, dass jemand Krebs hat – gestellt wird, ist keine einfache Sache. Dazu kommen viele – zum Teil schlechte – Informationen, die im Internet leicht zugänglich sind. Das Risiko ist gross, dass das Dinge sind, die mit dem, was der Arzt sagt, in Konkurrenz stehen. Das kann grossen Schaden anrichten – für die Patientenkommunikation, aber auch für Patient:innen selbst. Das verstärkt sich, und es kann dann wirklich problematisch werden, wenn jemand einen falschen Ratschlag befolgt.

Wie hat sich Kommunikation verändert?
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient war vor Jahren noch sehr paternalistisch. Der Arzt brauchte sich nicht gross um Kommunikation zu bemühen, da der Patient dem Arzt vertraute. Jetzt ist es komplizierter und problematischer. Möglicherweise haben Ärzt:innen noch den Eindruck, dass ihnen Patient:innen zuhören. In der Arztpraxis akzeptieren sie alles. Viele von ihnen nehmen aber gerne eine aktive Rolle ein, insbesondere weil sie am Ende des Tages entscheiden müssen, was sie tun möchten. Sie müssen also die Informationen auswerten und eine Entscheidung treffen. Und das kann eine Herausforderung sein, wenn es sich bei einigen Therapien um ein komplexes Gebiet handelt, das sehr schwierig zu übersetzen sein kann. Es gibt dann so viele andere Informationen im Internet und jeder kann auf Wikipedia nachschauen und denkt sich dann, dass er mehr weiss, als er tatsächlich weiss. Es ist ganz natürlich, dass man nach alternativen Erklärungen sucht, wenn etwas passiert, wie zum Beispiel eine schwierige Diagnose. Aber heute kann die Suche nach Alternativen gefährlich sein.

Welche Empfehlungen geben Sie Ärzt:innen für die Kommunikation?
Es geht darum, nicht nur einen Kommunikationsstil zu haben, sondern den Stil an den jeweiligen Menschen anzupassen. Man muss heute in gewisser Weise wirklich ein:e Kommunikationsexpert:in sein, denn man kann mit manchen Patient:innen sehr offen und direkt sein, weil sie das so wollen, aber andere können damit nicht umgehen. Ärzt:innen müssen also erkunden, welche Persönlichkeit jemand hat und in welcher Phase er oder sie sich befindet. Zum Beispiel sollte man nicht einfach schlechte Nachrichten überbringen, sondern man muss wissen, was jemand weiss und wie ich näher an diese Person herantreten kann, bevor ich etwas Schlechtes mitteile. Das Problem ist, dass die Informationszeit sehr kurz ist, um die Botschaft massschneidern zu können. Mittlerweile verfügen viele Medizinfakultäten über Kommunikationsprogramme, die genau dabei helfen. Aber ich würde sagen, insbesondere wenn es sich um junge Ärzt:innen handelt, kann es noch schwierig sein, genau zu verstehen, wie man kommuniziert. Das ist das eine und das andere ist meiner Meinung nach, zu verstehen, was die Patient:innen jeweils verstehen. Denn manchmal sagt jemand «ja», aber wir wissen, dass er oder sie sich in einer emotional schwierigen Situation befindet, und wenn sie dann nach Hause kommen, haben sie noch mehr Fragen und schauen im Internet nach.

Woran orientiert man sich aber dann tatsächlich?
Wenn man bedenkt, dass man bei ernsthaften lebensbedrohlichen oder chronischen Erkrankungen sehr vorsichtig sein muss, ist die Art der Kommunikation unterschiedlich, da man die Lebenserfahrung von Patient:innen berücksichtigen muss. Da geht es um den Gesundheitszustand, um die Kultur, um das Geschlecht, das Alter und wie jemand mit Technologien umgeht. Was macht jemand? Geht er viel online? Geht er in viele Online-Foren, wo er mit anderen Leuten chattet? All diese Aspekte machen einen Unterschied, wie jemand auf ärztliche Aussagen reagiert.

Gilt das für alle Gesundheitsberufe gleich?
Ärzt:innen stellen die Diagnose und führen die Behandlung durch, aber Kommunikation ist auch bei Pflegkräften ein grosses Thema. Denn im Grunde sprechen Krankenschwestern noch mehr mit Patient:innen als Ärzt:innen. Eigentlich basieren alle Gesundheitsberufe auf Kommunikation, obwohl jede Situation ihre eigenen Herausforderungen hat. Im Grunde ist die Kommunikation sehr oft die Therapie. Für Pflegekräfte ist es deshalb sehr schwierig, weil Patient:innen nach dem Arztbesuch dazu neigen, bei ihnen nachzufragen. Das ist gerade auch im palliativen Bereich von grosser Bedeutung. Hier erinnere ich mich immer an einen Arzt aus den Vereinigten Staaten, der zu einem Studierenden sagte: «Wir alle sterben nur einmal und wir müssen sicherstellen, dass die Menschen es gut machen und dass Patient:innen trotz eines sehr ernsten und schweren Gesundheitszustandes ein qualitativ hochwertiges Leben führen können.» (Das Interview führte Martin Rümmele.)

© Privat

Prof. Sara Rubinelli, PhD
Universität Luzern
Fakultät für Gesundheitswissenschaften und Medizin

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