Sprache im Fokus der Diagnostik der Alzheimerdemenz
Autorin:
Mag. Dr. Sandra Lafenthaler
Neurolinguistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin
Universitätsklinik für Neurologie, neurologische Intensivmedizin und Neurorehabilitation
Paracelsus Medizinische Privatuniversität
Christian-Doppler-Klinik, Salzburg
E-Mail: s.lafenthaler@crcs.at
Gängige neuropsychologische Tests erfassen in der Alzheimerdiagnostik die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten der Betroffenen nur unzureichend. Insbesondere komplexe sprachliche Defizite bleiben oft unerkannt, obwohl sie für das alltägliche Leben der Betroffenen von großer Bedeutung sind. Dieser Artikel beleuchtet die Limitationen der bestehenden Tests und stellt einen Vorschlag zur Erstellung eines Kommunikationsprofils sowie dessen Implikationen für die klinische Praxis vor.
Keypoints
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Demenzerkrankungen gehören zu den zehn häufigsten Ursachen der Krankheitslast bei Menschen über 75 Jahren.
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Sprachlich-kommunikative Einschränkungen wirken sich erheblich auf die soziale Teilhabe und Lebensqualität der Betroffenen aus.
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Die CERAD-Testbatterie allein reicht nicht aus, um die komplexen sprachlich-kommunikativen Defizite bei Alzheimerdemenz vollständig zu erfassen.
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Eine systematische Analyse der sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten kann helfen, die (Differenzial-)Diagnostik zu verbessern, spezifische Demenzformen präziser zu identifizieren und gezielte Interventionen zu entwickeln.
Mit der demografischen Entwicklung und der steigenden Lebenserwartung nimmt die Inzidenz neurodegenerativer Erkrankungen zu. Insbesondere Demenzen, allen voran die Alzheimerkrankheit als häufigste Form, zählen zu den führenden Ursachen der Krankheitslast, vor allem bei Menschen über 75 Jahren. Diese Erkrankungen, die vermehrt im höheren Alter auftreten und mit kognitiven Einschränkungen einhergehen, stellen eine zunehmende Herausforderung für die Gesundheitssysteme dar.1
Da eine Heilung derzeit nicht möglich ist, zielen die bestehenden Therapien darauf ab, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen und die kognitiven Fähigkeiten möglichst lange zu erhalten. Ein frühzeitiges und zuverlässiges Erkennen kognitiver Defizite ist dabei von zentraler Bedeutung. Neuropsychologische Tests spielen bei der Diagnostik von Demenzerkrankungen eine entscheidende Rolle. Der CERAD-Test (Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease)2 ist einer der am häufigsten verwendeten Tests zur systematischen Erfassung kognitiver Störungen. Er dient dazu, Defizite in verschiedenen Bereichen, wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprache und Exekutivfunktionen, zu identifizieren sowie den Schweregrad der kognitiven Beeinträchtigung zu bestimmen. Allerdings werden mit solchen Tests kognitive Funktionen nur isoliert gemessen und spiegeln damit nicht die komplexen Anforderungen des Alltags wider, bei denen oft mehrere kognitive Prozesse gleichzeitig gefordert sind,3 so wie dies bei der alltäglichen Kommunikation erforderlich ist.
Routinemäßige Überprüfung der sprachlichen Fähigkeiten in der Alzheimerdiagnostik: eine kritische Betrachtung
Schwierigkeiten im Bereich der Sprache sind ein frühes Merkmal der Alzheimerdemenz und treten bereits zu Beginn der Erkrankung auf. Diese sprachlichen Probleme verschlechtern sich im Krankheitsverlauf, was weitreichende Auswirkungen auf die Kommunikationsfähigkeit und das soziale Leben der Betroffenen hat.4 Zu Beginn zeigen sich häufig Wortabrufschwierigkeiten, die durch die Alzheimerpathologie im medialen Temporallappen und in der Hippokampusregion verursacht werden. Mit der Progression der Erkrankung und der Ausbreitung der Atrophie in die Parietal-, Frontal- und Okzipitallappen entwickeln sich ausgeprägte rezeptive und expressive Sprachstörungen. Im Spätstadium kann dies sogar zu einem vollständigen Verlust der Kommunikationsfähigkeit (Mutismus) führen (Abb. 1).4
Abb. 1: Vereinfachte Darstellung der Sprachstörung im Krankheitsverlauf der Alzheimerdemenz und ihre Folgen (eigene Darstellung)4
Obwohl Kommunikationsstörungen von Beginn an bestehen und einen erheblichen Einfluss auf die sozialen Beziehungen und die Lebensqualität der Betroffenen haben,4 gibt es kein einheitliches Vorgehen zur Überprüfung der sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten bei Alzheimerdemenz. In den S3-Leitlinien zu Demenzen wird erwähnt, dass mehrheitlich (60,71%) keine zusätzlichen Tests zum CERAD Boston Naming Test und verbalen Flüssigkeitsaufgaben durchgeführt werden.5 Dies wirft die Frage auf, welchen Zweck die in der CERAD-Testbatterie integrierten sprachlichen Tests verfolgen und welche Informationen sie liefern können.
Wortgenerierungsaufgaben, auch bekannt als verbale Flüssigkeitsaufgaben (engl. „verbal fluency tests“), prüfen verschiedene kognitive Funktionen, darunter lexikalisches Wissen, den Abruf aus dem semantischen Gedächtnis und die exekutive Kontrolle. Bei Personen mit Alzheimedemenz zeigt sich, dass die semantische Wortgenerierung (Kategorievorgabe) im Vergleich zur formal-lexikalischen Wortgenerierung (Buchstabenvorgabe) stärker beeinträchtigt ist. Dies deutet darauf hin, dass die Degradation des semantischen Systems die Störung der Exekutivfunktionen übersteigt. Studien zeigen zudem, dass die Leistung bei der semantischen Wortgenerierung ein sensitiverer Indikator für den Zerfall des semantischen Gedächtnisses ist als ein einfacher Benennungstest.6
Trotz umfangreicher Belege für den Einsatz von Wortgenerierungsaufgaben zur Unterstützung der Alzheimerdiagnose bleiben einige kritische Aspekte bestehen. Semantisches Wissen ist eng mit den individuellen Erfahrungen einer Person verknüpft. Tests, die verschiedene Kategorien (z.B. Tiere, Gemüse) untersuchen, können daher sowohl qualitativ als auch quantitativ unterschiedliche Antworten elizitieren, abhängig von der sprachlichen und kulturellen Herkunft der Person. Zudem bleibt unklar, ob bei Alzheimererkrankten kategoriespezifische Defizite bestehen.6
Des Weiteren wird im Rahmen der CERAD-Testbatterie zur Überprüfung der Wortabrufleistung beim konfrontativen Bildbenennen der Boston Naming Test (BNT) in einer Kurzversion mit 15 Objekten angeboten. Trotz der weitverbreiteten Popularität des BNT in der klinischen Praxis und Forschung gibt es seit Langem Kontroversen über seine Aussagekraft. Kritiker bemängeln eine unzureichende Sensitivität zur Erkennung subtiler Benennungsstörungen, die Verwendung veralteter Schwarz-Weiß-Zeichnungen sowie seine problematischen psychometrischen Eigenschaften.7
Da die Kommunikationsfähigkeit von zentraler Bedeutung für die Betroffenen und ihre Angehörigen ist, sollte geklärt werden, wie dieser Aspekt zukünftig besser berücksichtigt werden kann und welchen Beitrag die CERAD-Testbatterie bereits leistet. Einige Studien haben untersucht, inwieweit die Benennungsleistung als Indikator für die Kommunikationsfähigkeit dienen kann. Eine gängige Methode zur Ermittlung der Kommunikationsfähigkeit ist die Diskursanalyse. In mehreren Forschungsarbeiten wurde die Beziehung zwischen der Leistung beim Bildbenennen (Einzelwortebene) und der Bildbeschreibung (Diskursebene) analysiert. Beide Verarbeitungsprozesse setzen eine intakte visuelle Verarbeitung der abgebildeten Informationen voraus. Während das Bildbenennen lediglich den Abruf eines einzelnen Wortes aus dem mentalen Lexikon erfordert, stellt das Beschreiben von Bildern einen komplexeren Prozess dar, der die Formulierung vollständiger Sätze und das Einbetten der Inhalte in den Kontext beinhaltet. Darüber hinaus ist die Bildbeschreibung mit einer tiefergehenden semantischen Verarbeitung verbunden, bei der thematische Rollen identifiziert und die Relationen zwischen ihnen interpretiert werden müssen. Hierbei sind mehr kognitive Ressourcen involviert, darunter auch exekutive Funktionen, die zur Strukturierung von Inhalten notwendig sind. Folglich beanspruchen Bildbenennung und Bildbeschreibung teils unterschiedliche sprachliche Fähigkeiten und kognitive Prozesse. Die zentrale Frage bleibt, ob die Leistung beim Bildbenennen Rückschlüsse auf die Leistung im Diskurs zulässt.
Wenngleich bis heute vorwiegend Forschungsarbeiten zu aphasischen Störungen durchgeführt wurden, bieten sie Einblicke in die Zusammenhänge zwischen den sprachstrukturellen Fähigkeiten (engl. „lower-order abilities“) und den höheren kognitiven Leistungen (engl. „higher-order abilities“). In einer rezenten Übersichtsarbeit9 wurde festgestellt, dass die Benennungsleistung mit bestimmten Variablen der Diskursleistung, wie dem Informationsgehalt, korreliert. Die Vorhersagekraft ist jedoch aufgrund der Vielzahl möglicher Einflussfaktoren, wie der Methodik und der unterschiedlichen kognitiven Anforderungen, nur eingeschränkt möglich. Daher besteht Konsens darüber, dass die Diskurs- bzw. Kommunikationsfähigkeit nicht allein auf Basis der Leistung auf Einzelwortebene bewertet werden sollte.
Sprache als Schlüssel zu einem besseren Outcome
In 80% der Fälle übernehmen Familienmitglieder die Betreuung der Alzheimererkrankten. Die Kommunikationsprobleme zwischen den Betroffenen und ihren Angehörigen führen häufig zu einer Verschlechterung ihrer Beziehung und zu sozialem Rückzug. Bereits bei milden Formen der Alzheimerdemenz haben diese Störungen signifikante Auswirkungen auf die Aktivität und Partizipation. Dies äußert sich beispielsweise in einer eingeschränkten Fähigkeit, Gespräche zu führen, Informationen auszutauschen und an sozialen Aktivitäten teilzunehmen.4
Die systematische Erfassung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten kann das Demenzmanagement maßgeblich verbessern. Typische und atypische Varianten der Alzheimerdemenz weisen oft ähnliche Muster ausgeprägter Defizite im Bereich des episodischen und Arbeitsgedächtnisses, der Exekutivfunktionen, der Aufmerksamkeit, der visuell-räumlichen/visuokonstruktiven Fähigkeiten und der Sprache auf.8 Daher ist es notwendig, die visuellen, sprechmotorischen oder artikulatorischen Fähigkeiten sowie die Performanz in Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik anhand etablierter linguistischer Marker zu evaluieren, um ein ganzheitliches und umfassendes Kommunikationsprofil zu erstellen (Abb. 2) und eine evidenzbasierte Diagnose zu ermöglichen (so wie dies bereits für die primär progressiven Aphasien vorgeschlagen wird).9
Abb. 2: Ein Vorschlag zur Erstellung eines evidenzbasierten Kommunikationsprofils im Rahmen der Alzheimerdemenzdiagnostik (eigene Darstellung). Neben den hier angeführten etablierten linguistischen Markern dienen die leeren Kacheln als Platzhalter für potenziell neue linguistische Marker, die sich in der (Differenzial-)Diagnostik als hilfreich erweisen
Ein evidenzbasiertes Kommunikationsprofil kann helfen, verschiedene Demenzformen voneinander abzugrenzen sowie spezifische Varianten der Alzheimerkrankheit zu identifizieren.10 Dieser ganzheitliche Ansatz stellt zudem eine fundierte Grundlage für Interventionen dar, die darauf abzielen, kommunikative Fähigkeiten möglichst lange zu erhalten und wirksame Kommunikationsstrategien zu entwickeln. Dadurch kann den Betroffenen eine bessere Teilhabe am Leben ermöglicht und die Lebensqualität verbessert werden.
Literatur:
1 GBD 2019 Diseases and Injuries Collaborators: Global burden of 369 diseases and injuries in 204 countries and territories, 1990-2019: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. The Lancet 2020; 396(10258); 1204-22 2 Morris JC et al.: The consortium to establish a registry for Alzheimer’s disease (CERAD). Part I. Clinical and neuropsychological assessment of Alzheimer’s disease. Neurology 1989; 39(9); 1159-65 3 Chaytor N et al.: The ecological validity of neuropsychological tests: a review of the literature on everyday cognitive skills. Neuropsychol Rev 2003; 13(4); 181-97 4 Klimova B et al.: Alzheimer’s disease and language impairments: social intervention and medical treatment. Clin Interv Aging 2015; 10: 1401-7 5 DGN e. V. & DGPPN e.V. (Hrsg.): S3-Leitlinie Demenzen, Version 4.0., 2023. Abgerufen am 21.10.2024, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038-013 6 Wright LM et al.: Current understanding of verbal fluency in Alzheimer’s disease: evidence to date. Psychol Res Behav Manag 2023; 16: 1691-705 7 Harry A, Crowe SF: Is the Boston Naming Test still fit for purpose? Clin Neuropsychol 2014; 28(3); 486-504 8 Fredes-Roa C et al.: Neuropsychological profiles and neural correlates in typical and atypical variants of Alzheimer disease: a systematic qualitative review. Neurology Perspectives 2023; 3(3): 100106 9 Gallée J: A roadmap to enhance care for people living with primary progressive aphasia: What can be done now? Perspectives of the ASHA Special Interest Groups 2023; 8(5): 847-62 10 Méndez-Orellana C, Toloza-Ramírez D: Neuropsychological profiles and neural correlates in typical and atypical variants of Alzheimer disease: a systematic qualitative review. Neurology Perspectives 2023; 3(3): 100106
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